Neue Erklärung für MS-Entstehung
Ein Ziel der Antikörper ist der Kaliumkanal KIR4.1. Münchner Forscher haben einen Autoantikörper entdeckt, der für einen großen Teil der MS-Patienten charakteristisch ist. Bei 47 Prozent der Kranken fanden sie gegen den Kaliumkanal KIR4.1 gerichtete IgG-Moleküle. Möglicherweise haben diese Patienten eine gut abgrenzbare Form der MS.
Für diese Arbeit hat das Team um Professor Bernhard Hemmer vom Klinikum rechts der Isar München zunächst IgG (Immunglobuline G) aus dem Serum von zwölf MS-Patienten isoliert und in einem speziellen Verfahren mit ZNS-(Zentrales Nervensystem)-Membran-Proteinen (Eiweißstoffen) reagieren lassen. Die Antigen-Antikörper-Komplexe wurden anschließend genauer analysiert. Die Forscher entdeckten dabei den Kaliumkanal KIR4.1 als ein Ziel der Antikörper. Dann schauten sie mit einem anderen Test, wie häufig Autoantikörper gegen diesen Kaliumkanal bei MS-Kranken vorkamen.
Insgesamt fanden sie bei 186 von 397 MS-Patienten eine Immunantwort gegen das Protein. Dagegen gab es bei keiner von 56 gesunden Kontrollpersonen eine solche Reaktion und nur bei drei von 329 Personen mit anderen neurologischen Krankheiten. Die Forscher folgern daraus, dass die Autoantikörper sehr spezifisch bei einem großen Teil der MS-Kranken gebildet werden. Die Entdeckung stellt auch die Hypothese in Frage, dass bei MS überwiegend autoreaktive T-Zellen von Bedeutung sind.
Bei einem Teil der Patienten könnte die B-Zell-Antwort von ähnlicher oder größerer Bedeutung sein. Dafür spricht, dass eine B-Zell-Zerstörung (etwa mit Rituximab) oft zu einer drastischen Schubreduktion führt. Gebildet wird KIR4.1 im Gehirn in Oligodendro- und Astrozyten (gewisse Hirnzellen im Großhirn), die Synapsen (Nerven-Verbindungen) und Blutgefäße umgeben. In gentechnisch veränderten Mäusen ohne KIR4.1 waren Myelinbildung (Markscheidenbildung) und Entwicklung von Oligodendrozyten beeinträchtigt.
Menschen mit Mutation in dem Gen für den Kaliumkanal zeigen Epilepsien, Ataxien (abgehackter Gang und Bewegungen), sensorische Störungen (sehen, hören, fühlen, schmecken etc.), sowie Tubulopathien (Nierenschäden), da das Gen auch in den Nieren exprimiert wird. Ein Test auf KIR4.1-Antikörper könnte künftig auch helfen, die MS-Diagnose bei einem Teil der Betroffenen zu sichern, so das Team um Professor Hemmer.
27. September 2013